Ja, das ist aus meiner Sicht das größte Hemmnis. Viele Mitarbeiter und insbesondere Führungskräfte haben Angst davor, Fehler zu machen oder zugeben zu müssen, dass sie etwas nicht beherrschen. Deshalb lehnen sie Innovationen ab. Diese Entscheider haben auch gelernt, dass eine Führungskraft niemals ihre Meinung ändert: „Wer A sagt, muss auch B sagen.“ Wenn so ein Chef jetzt anfängt zu reflektieren und den Kurs zu ändern, ohne dies der Belegschaft zu erklären, sind viele ja auch erstmal irritiert. Vielleicht denken tatsächlich einige, dass das Management nicht weiß, was es will. Das ist ein Glaubenssatz oder ein Verhaltensmuster aus der anderen Zeit, den viele Menschen heute noch ernst nehmen und damit jede Transformation im Keim ersticken. Ein anderer Glaubenssatz ist, dass ein Chef die Arbeit verteilen und die Mitarbeiter kontrollieren muss. Hierbei müssen die Mitarbeiter eben im Nachbarbüro sitzen und jederzeit zur Verfügung stehen. Damit man sich hinter sie stellen kann, um zu schauen, woran sie gerade arbeiten und ob sie das richtig machen. Und wenn so ein Vorgesetzter einen Fehler gefunden hat, hat er seine Berechtigung zum Chefsein erfüllt. Wenn ich zeitgemäß führen will, sind andere Qualitäten gefragt. Dann bin ich als Digital Leader, also einer Führungskraft im digitalen Zeitalter, in der Lage, jeden Menschen unabhängig von Hierarchie-Ebenen als Persönlichkeit wahrzunehmen. Ich kann differenzieren und jede Person individuell führen, auch in jedem Kontext anders führen. Dafür verabrede ich gemeinsam mit meinem Team Spielregeln für die Zusammenarbeit. Natürlich setzten wir auch virtuelle Führungs- und Kommunikationstools ein, weil Vertrauen auch bedeuten kann, dass nicht jeder immer im Büro arbeiten muss. So ein Leadership-Style ist natürlich viel komplexer.
Ganz großes Kino. So ein „Okay, dann mache ich jetzt nicht mehr die Führung, sondern die Planung“, kann nicht funktionieren. Die Planung von Ressourcen ist genau das, was das selbst organisierte Team doch am besten selbst übernimmt. Im Gegenteil: Als Führungskraft ist es meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Ich bin hier eher als Enabler, also als Ermöglicherin, unterwegs und bin vor allem da, wo es knirscht. Wie das THW muss ich am Krisenherd sein und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Team gut arbeiten kann, damit etwas Neues entsteht. Eine meiner fünf Thesen in meinen Vorträgen zu Führung im digitalen Zeitalter lautet: „Wo Konflikte sind, ist Raum und Zeit für Veränderungen“. So ein Digital Leader lässt Emotionen zu, er vertraut seinem Team und schafft ihnen beispielsweise Zugänge zu Menschen, die das Wissen und die Qualifikationen haben, die im Team fehlen. Den Raum zu gestalten und auf die Spielregeln zu achten, ist das, was ein zeitgemäßer Chef oder eine zeitgemäße Chefin macht. Sie arbeiten dort mit, wo sie gebraucht werden. Sie leben diese Kultur des Purpose bewusst und aktiv vor. So ein dienender Servant Leadership Style bedeutet, statusfrei zu agieren und das Team zu motivieren, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Wer so führt, verdient sich den Respekt, den er oder sie früher über die Hierarchiebene geschenkt bekam. Das ist zwar anstrengend, weil man sich ständig selbst führen und weiterentwickeln muss, um ein inspirierendes Vorbild zu sein. Aber das ist eben auch der Sinn, der Purpose von Führung, oder? Natürlich ist so eine Führungsverständnis für den einen oder anderen Menschen mit Eckbüro und anderen Macht-Insignien der Ober-sticht-Unter-Kultur nur schwer nachzuvollziehen. Er führt ja am Ende des Tages zu Kontroll- und Machtverlust. Hier kommt, wie Ines Gensinger und ich in meinem ersten Buch „Netzwerk schlägt Hierarchie. Neue Führung mit Digital Leadership“ mit vielen Beispielen beschrieben haben, das Netzwerk ins Spiel…
Ja, die Sicherheit gibt das Netzwerk. Das können die Mitarbeiter und Kollegen, aber auch Kunden, Dienstleister, Freunde oder Social-Media-Follower sein. Doch die Tragfähigkeit eines Netzwerkes muss erst einmal getestet werden. Auch in einer zeitgemäßen, transformativen Agentur kann es deshalb passieren, dass, wenn die Führungsriege beschließt: „So, Ihr seid jetzt ein selbst organisierendes Team!“, die Mitarbeiter nach ein paar Wochen sagen: „Das wollen wir aber nicht. Wir wollen uns nicht selbst organisieren und alles selbst entscheiden. Wir wollen, dass Ihr das für uns macht.“ So eine ähnliche Erfahrung haben die Gründer der Hamburger Agentur Ministry gemacht, dass sie in meinem zweiten Buch „Fit für New Work“, das ich mit Susanne Thielecke Anfang Oktober veröffentlicht habe, sehr anschaulich beschreiben. Bei Ministry stellte sich an einem bestimmten Punkt ihrer transformatorischen Organisationsentwicklung heraus, dass die Belegschaft sich mit der ihnen übertragenden Verantwortung überfordert fühlte. Sie haben auf ihre eigenen Leadership-Kompetenzen noch nicht vertrauen können. Es fehlte ihnen vielleicht das eine oder andere Wissen und das Vertrauen, dass diese Selbstorganisation wirklich funktioniert. Sie brauchten einfach mehr Zeit, um das Neue zu lernen und sich damit sicher zu fühlen. Auf jeden Fall gibt es viele Gründe, warum der digitale Wandel in Unternehmen oder Agenturen selten reibungslos funktioniert. Jede Veränderung ist kompliziert. Deshalb sollte eine Führungskraft diesen Wandel, diese Transformation – auch von Kulturen – nur Schritt für Schritt vorantreiben. Ich sage immer: „Think big. Act small. Start now“ Und manchmal muss man Veränderungen – vorerst – wieder zurückziehen, um die Organisation nicht zu überfordern.
Ja, das meinte ich vorhin mit „Spielregeln verhandeln“. Ich gebe sehr viele Digital Leadership- oder New-Work-Workshops. Am Anfang geht es eigentlich immer darum, sich zu fragen, in welcher Kultur wir leben und arbeiten wollen. Für mich ist es immer spannend, die ersten Werte aus der Gründungslegende abzuleiten. Also sich zu fragen, was hatten die Gründerväter und -mütter für ein Problem? Warum haben die sich gegründet? In welchem Geist? Welches waren die Treiber? Wenn man sich das überlegt hat, kann man von einigen dieser Werte die neue Kultur ableiten. Dann kann man sich fragen: „Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten?“ Oder um es mit Frithjof Bergmann, dem Godfather of New Work zu formulieren: „Was ist es, was wir wirklich, wirklich wollen?“ Wenn man stattdessen auf der Sachebene bliebe und immer nur sagte „Prozesse, Prozesse, Prozesse“, dann funktioniert dieses Neue Arbeiten nicht. Man braucht erstmal eine gemeinsame Vision und einen gemeinsamen „Purpose“. Etwas, was nicht skalierbar ist, aber einen Wert darstellt, der Zukunft gestalten kann und so überzeugend ist, dass es auch Einkommen generiert – als Zukunftsbild. Und wenn es dieses gibt, kann man wieder zurückgehen in die tägliche Organisation und sagen, mit diesem Sinn und Zweck, diesem Purpose, können wir unseren Alltag und unsere Aufgaben so und so gestalten. Diese Absprachen werden regelmäßig überprüft und optimiert – so wie in einer immerfort selbstlernenden Organisation. Wenn Algorithmen so etwas können, können wir Menschen das ja wohl schon lange!
Bei einer Transformation verändere ich mich als Mensch oder ich verändere eine Kultur. Ich lerne dazu, bin offen für die Zukunft und das, was sie bringen mag. Ich gestalte meine Welt. Das geht viel tiefer als ein Change, bei dem ich einfach nur Abläufe oder Prozesse verändere. Deshalb ist aus meiner Sicht Change auch so wenig attraktiv. Ich habe viele Change-Prozesse begleitet. Die Menschen waren irgendwan genervt, weil sie denken: „Das machen die Vorgesetzten doch nur, damit sie bessere Boni einstreichen oder sich auf Kosten des Vorgängers profilieren können.“ Transformationen haben immer etwas mit Purpose, Zielen und Sinn zu tun. Dass man ein besserer Mensch wird, weil man neue Erkenntnisse gewonnen hat, sinnvoller agieren kann und sich weiterentwickelt. Was ja auch mehr dem natürlichen Sein eines Menschen entspricht. Oder?