Vom
Scheitern
zum
Kulturwandel.
Ein Interview mit Steve Rettcke, Kopfsatz 12.12.2019
Die Chemnitzer Digitalagentur KOPFSATZ wurde 2015 gegründet und startete sofort durch. Mit vielen neuen Etats wuchs die Agentur innerhalb kurzer Zeit sehr schnell. Heute weiß Geschäftsführer Steve Rettcke, dass man damals das Wichtigste vernachlässigt hat – Zeit für sich. Das Resultat: Mitarbeiter waren unzufrieden und gingen. Für das Team von KOPFSATZ war das der Auslöser, in der Agentur einen Kulturwandel voranzutreiben.
Steve, wie bist du damals mit der Situation umgangen? Geholfen haben mir im Wesentlichen zwei Dinge. Erstens: Ich habe mich mit anderen Unternehmern offen ausgetauscht. Ich war überrascht, dass viele ähnliche Herausforderungen hatten wie wir. Zweitens: Ich habe einen Spezialisten gesucht, der mir aufzeigen konnte, was passiert war und dass sowas Teil eines Wachstumsprozesses sein kann. Wir durchlaufen mit unserem Unternehmen immer wiederkehrende Phasen: Forming, Storming, Norming und Performing. Das war für mich der Schlüssel, um zu verstehen, wo wir als Agentur zum damaligen Zeitpunkt standen.
Was habt ihr nun konkret dagegen unternommen? Wie gesagt hatten wir einen Spezialisten an unserer Seite. Nach der Standortortbestimmung haben wir unsere Herausforderungen priorisiert. Hier ist uns schnell klar geworden, dass unserer Agentur eine klar definierte Kultur fehlte. Natürlich hat jedes Unternehmen eine Kultur. Die Frage lautet nur: Ist sich wirklich jeder bewusst, welche charakterprägenden Merkmale das Unternehmen ausmachen?
Wir begannen unsere KOPFSATZ-Kultur in zahlreichen Workshops auszuarbeiten. Hierbei achteten wir darauf, dass es keine typischen und austauschbaren Floskeln sind. Wir wollten unseren Wertekanon mit Werten untersetzen, die uns allen am Herzen liegen. Dann haben wir unser Verhalten miteinander und gegenüber Kunden und Partnern genau beschrieben, damit jeder Wert genau verstanden wird. Als wir die wichtigsten Werte für uns zusammengefasst hatten, schufen wir passend zu jedem Wert ein Ritual und/oder ein Symbol.
Kannst Du uns hier Beispiele nennen? Klar, gerne. Hier ein Auszug von drei KOPFSATZ-Werten:
Einheit
in
Verschiedenheit!
Eine Agentur benötigt Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen, Fähigkeiten und Ansichten. Der eine ist höchst kreativ und dafür vielleicht nicht so gut strukturiert wie ein analytisch denkender Mensch. Solche Unterschiede sind lebensnotwendig für eine Agentur. Damit wir diesen Wert niemals vergessen, befindet sich in unserer Agentur eine goldene Schale. Jeder Kollege legt dort seine Lieblingssüßigkeit rein und bietet diese seinen Kollegen zum Futtern oder Ausprobieren an. Es verdeutlich uns täglich, dass wir alle unterschiedlichen Geschmäcke haben und darauf kommt es doch in einer Agentur an. Wie können wir sonst Werbung für unterschiedliche Zielgruppen entwickeln? Indem wir alle gleich sind? Nein.
Sagen
was
ist!
Wir reden nicht übereinander, sondern miteinander. Wenn jemand etwas auf dem Herzen hat oder einen schlechten Tag hat, sprechen wir miteinander darüber – auch wenn der Tag schon sehr anspruchsvoll war. Dazu laden wir denjenigen zum Kaffee ein. Damit keiner das Lieblingsgetränk vergisst, befindet sich an unserer Kaffeemaschine ein Spickzettel mit der jeweiligen Lieblingskaffeekreation aller Kollegen. Wir pflegen damit die innere Haltung, stets das Positive in den Menschen zu sehen. Für negative Ansichten gibt es bei uns keinen Platz.
Jeden Fortschritt –
ob privat oder beruflich –
erkennen wir als Zugewinn
für unsere Gemeinschaft an
Wir wollen jeden Tag ein bisschen besser werden und lernen gegenseitig voneinander. Auch Erfahrungen oder Erlebnisse aus dem privaten Umfeld dürfen geteilt werden. Entweder dem ganzen Team, in einer unser 14-tägigen Wissensrunden oder zu zweit bei einer Fika (das ist eine soziale Institution in Schweden und Finnland. Es bedeutet die Unterbrechung einer Tätigkeit, um mit der Familie, mit Freunden oder mit Kollegen Kaffee oder ein anderes Getränk zu sich zu nehmen, um Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen.). Dazu gibt es eine schwedische Flagge in unserer Agentur, die in regelmäßigen Abständen von unseren Kollegen anderen Kollegen auf den Tisch gestellt werden und damit die Einladung zu einer Fika ausge- sprochen wird
Wie lange hat dieser Prozess gedauert? Für den kompletten Prozess haben wir uns ein 1,5 Jahre Zeit genommen. Aber wir sind noch lange nicht am Ende bzw. wird es nie ein Ende geben. Wir arbeiten ständig weiter–an uns selbst oder an der Überprüfung unserer KOPFSATZ-Werte.
Wie nutzt systemisches Denken mir und meiner Agentur?
Gab es Entscheidungen, die dir besonders schwergefallen sind? Natürlich. Wenn dein Unternehmen so einen Weg geht, musst du konsequente Entscheidungen treffen. Du musst neue Rahmenbedingungen schaffen, Strukturen ändern oder sogar neu aufsetzen und natürlich auch prüfen, wer zur Kultur passt und wer nicht.
Welche Ergebnisse spürst du? Wie immer beginnt alles in einem selbst. Es ist eine Frage der inneren Haltung. Wir sprechen fast täglich über unsere Werte und wie wir diese noch besser in unseren Alltag integrieren können. Ich verspüre, dass meine Kollegen fachlich und vor allem menschlich viel näher zusammengerutscht sind und wir immer besser werden. Das spüren auch unsere Auftraggeber. Es entfalten sich Potenziale bei unseren Kollegen, die uns alle auf ganz neue Ideen und Ansätze bringen – das ist einfach unbeschreiblich schön und macht wirklich viel Spaß. Und ja, seitdem wir die Kulturreise begonnen haben, schreiben wir auch deutliche bessere Zahlen.